Hermann Nitsch
© J.L.Baños©Fond.Morra
Hermann Nitsch über die Musik
Das wesentlich Neue an meinem Theater ist das überwinden des Rollenspiels durch das inszenieren realer Geschehnisse. Reale Geschehnisse beanspruchen automatisch das Gesamtkunstwerk. Sie sind über alle fünf Sinne erfahrbar. Sie sind schmeckbar, riechbar, sind zu hören, zu sehen und betastbar. Neben der visuellen Dominanz meines Theaters, das versucht, sich von der Sprache loszulösen, ist das Geräusch ein wesentlicher Faktor. Das Geräusch übernimmt vorerst die Rolle der Musik in meinem Gesamtkunstwerk. Meine Musik hat ihre Wurzeln im Schrei, im Lärm, ist verbunden mit extremster Erregung, die zur Notwendigkeit des Theaters gehört. Der Schrei liegt Menschheitsgeschichtlich vor dem Wort, er ereignet sich dann, wenn die Erregung so stark ist, dass das Wort kein Auslangen mehr findet. Meine Musik ist in keiner Weise illustrativ oder den Aktionen aufgesetzt. Sie kommt buchstäblich aus der Erregung des Geschehnisses. Sie intensiviert die Aktion, die Aktion aktiviert die Musik. Sie gräbt tiefer in die Abgründe der Katastrophe des dramas. in der folge hat sich meine akustische gestaltung über die extremen, archaischen Ausdrucksmöglichkeiten, die ich aber trotzdem nie verlassen will, hinausentwickelt. Die Klangfarbe wird immer wesentlicher. Eine Art Orgelklang des gesamten Orchesters wird angestrebt. Ich bin auf die Musik des O.M. Theaters durch die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Aktion gestossen.
Vor mir lag die Musik der zweiten Wiener Schule, Schönberg, Webern, vor der ich soviel Respekt hatte, dass ich sie nicht wiederkauen wollte. Es musste ein Ausbruch gefunden werden. Etwas neues aus der Aktion geborenes entstand. Der Zufall bekam eine wesentliche Rolle. John Cage hat zu dieser Öffnung beigetragen. Andererseits wurden ganz andere Klangdimensionen beansprucht, die für die Zeitdauer des 6-Tage-Spiels in Wirkung treten sollen. Riesige Klangblöcke und Klangwände werden eingesetzt. Die Orchesterbesetzung tendiert zum Gigantischen. Nahezu eine Rückwendung zu Wagner, Bruckner und Scriabin entsteht. Eine orgiastische Musik soll uns in einen intensiven Zustand der Seinsfindung versetzen. Das O.M.Theater ist einer riesigen Symphonie mit sechs Sätzen vergleichbar. Die sinnlich intensiven Eindrücke, welche die orgiastischen Ausweidungsaktionen des O.M. Theaters bewirken, das schauende, riechende und schmeckende erfahren von Blut, Fleisch und Gdärmen sollen sich bis zu brüllenden, röhrenden Tönen steigern. Ebenso kennt meine Musik die meditative Ruhe des Adagios. die Ruhe des Sternenhimmels, die ruhigen Bahnen der Gestirne sollen ausgekostet werden und das sich im unendlichen verlierende Weltall soll ausgelotet werden. Die Musik dieses Gesamtkunstwerkes meint lebensbejahende Seinsmystik.
Mit meinem Orgelspiel will ich in die Nähe meines Orchesterklanges kommen.
† Hermann Nitsch starb am 18. April 2022 nach schwerer Krankheit im Alter von 83 Jahren
Das wesentlich Neue an meinem Theater ist das überwinden des Rollenspiels durch das inszenieren realer Geschehnisse. Reale Geschehnisse beanspruchen automatisch das Gesamtkunstwerk. Sie sind über alle fünf Sinne erfahrbar. Sie sind schmeckbar, riechbar, sind zu hören, zu sehen und betastbar. Neben der visuellen Dominanz meines Theaters, das versucht, sich von der Sprache loszulösen, ist das Geräusch ein wesentlicher Faktor. Das Geräusch übernimmt vorerst die Rolle der Musik in meinem Gesamtkunstwerk. Meine Musik hat ihre Wurzeln im Schrei, im Lärm, ist verbunden mit extremster Erregung, die zur Notwendigkeit des Theaters gehört. Der Schrei liegt Menschheitsgeschichtlich vor dem Wort, er ereignet sich dann, wenn die Erregung so stark ist, dass das Wort kein Auslangen mehr findet. Meine Musik ist in keiner Weise illustrativ oder den Aktionen aufgesetzt. Sie kommt buchstäblich aus der Erregung des Geschehnisses. Sie intensiviert die Aktion, die Aktion aktiviert die Musik. Sie gräbt tiefer in die Abgründe der Katastrophe des dramas. in der folge hat sich meine akustische gestaltung über die extremen, archaischen Ausdrucksmöglichkeiten, die ich aber trotzdem nie verlassen will, hinausentwickelt. Die Klangfarbe wird immer wesentlicher. Eine Art Orgelklang des gesamten Orchesters wird angestrebt. Ich bin auf die Musik des O.M. Theaters durch die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Aktion gestossen.
Vor mir lag die Musik der zweiten Wiener Schule, Schönberg, Webern, vor der ich soviel Respekt hatte, dass ich sie nicht wiederkauen wollte. Es musste ein Ausbruch gefunden werden. Etwas neues aus der Aktion geborenes entstand. Der Zufall bekam eine wesentliche Rolle. John Cage hat zu dieser Öffnung beigetragen. Andererseits wurden ganz andere Klangdimensionen beansprucht, die für die Zeitdauer des 6-Tage-Spiels in Wirkung treten sollen. Riesige Klangblöcke und Klangwände werden eingesetzt. Die Orchesterbesetzung tendiert zum Gigantischen. Nahezu eine Rückwendung zu Wagner, Bruckner und Scriabin entsteht. Eine orgiastische Musik soll uns in einen intensiven Zustand der Seinsfindung versetzen. Das O.M.Theater ist einer riesigen Symphonie mit sechs Sätzen vergleichbar. Die sinnlich intensiven Eindrücke, welche die orgiastischen Ausweidungsaktionen des O.M. Theaters bewirken, das schauende, riechende und schmeckende erfahren von Blut, Fleisch und Gdärmen sollen sich bis zu brüllenden, röhrenden Tönen steigern. Ebenso kennt meine Musik die meditative Ruhe des Adagios. die Ruhe des Sternenhimmels, die ruhigen Bahnen der Gestirne sollen ausgekostet werden und das sich im unendlichen verlierende Weltall soll ausgelotet werden. Die Musik dieses Gesamtkunstwerkes meint lebensbejahende Seinsmystik.
Mit meinem Orgelspiel will ich in die Nähe meines Orchesterklanges kommen.
† Hermann Nitsch starb am 18. April 2022 nach schwerer Krankheit im Alter von 83 Jahren